Ob auf dem Wohnungsmarkt, bei der
Sozialhilfe, der Arbeitsvermittlung oder im öffentlichen Raum - Menschen
ohne Dach über dem Kopf unterliegen einer systematischen Ausgrenzung. Die
von Mieterverbänden und der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
(BAG) 1991 im Rahmen der Debatte um eine neue gesamtdeutsche Verfassung
aufgestellte Forderung nach einer Aufnahme des "Rechts auf
Wohnen" hat sich nicht realisiert.
Die Bundesrepublik
hat, wie die meisten europäischen Länder den Weg der Gesetzgebung
eingeschlagen. Wohnungsverluste sind damit praktisch ‚systemimmanent'.
Durch die Praxis der Bezirke bei Mietschuldenübernahmen verlieren immer
mehr Menschen ihre Wohnung. Nach Angaben des Berliner Senates sind
jährlich über 12 000 Haushalte von Zwangsräumungen bedroht. So
existiert in Reinickendorf nach Angaben der Arbeitsgruppe Berliner
Wohnungslosentagesstätten (AGBW) eine "interne
Arbeitsrichtlinie" von Sozialstadtrat Frank Balzer (CDU). Danach soll
im Gegensatz zu den Vorgaben des Berliner Senates die Tilgung von
Mietschulden nur noch "in Ausnahmen" erfolgen. "Zwar stellt
der Gesetzgeber die Gewährung ins Ermessen der Sozialbehörde, doch
widerspricht das restriktive Vorgehen der gängigen Praxis anderer
Sozialämter. Damit betreibt der Stadtrat eine Politik der sozialen
Ausgrenzung", kritisiert der AGBW. Insgesamt hat sich die Zahl der
bewilligten Anträge nach Angaben des Sozialamtes denn auch um rund 50
Prozent reduziert. Als Folge beklagen Wohnungslosenprojekte einen stetigen
Anstieg der Betroffenen im Bezirk. Während die Zahl der
Mietschuldenübernahmen rückläufig war, haben sich nach Angaben der
Senatsverwaltung für Soziales im Bezirk Reinickendorf die Fälle der
gerichtlichen Mitteilungen über Zwangsräumungen nahezu verdoppelt.
Meldeten die Gerichte im dritten Quartal 1999 noch 178
Räumungsanordnungen, waren es im zweiten Quartal 2000 bereits 356.
Gleichzeitig gingen die vorbeugenden Hilfeleistungen zur Abwendung von
Wohnungsverlusten von nur 20 sogar noch auf 19 zurück. Demgegenüber
stieg die Zahl der in Wohnungsloseneinrichtungen untergebrachten Menschen
im gleichen Zeitraum von 213 auf 306 Personen an. Dass sich der
Wohnungsverlust als dauerhafte Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt manifestieren
kann, lässt sich aus dem eigenen Zahlenwerk der Senatssozialverwaltung
ablesen. So beläuft sich die Verweildauer in Obdächern bei rund 40
Prozent der Betroffenen bei bis zu drei Jahren. Reinickendorf ist dabei
kein Einzelfall. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in den
Bezirken Neukölln, Tempelhof und Treptow ab. Und dies, obwohl im Rahmen
des "geschützten Marktsegments" für Wohnungsnotfälle Menschen
unverzüglich wieder zu neuem Wohnraum verholfen werden könnte. Doch
erreichen die Sozialämter die Betroffenen mit herkömmlichen Mitteln nur
schwer. Die deshalb von Obdachloseninitiativen von den Sozialen Wohnhilfen
geforderte "aufsuchende Hilfe" wird aus Kostengründen bislang
abgelehnt.
Die Sozialhilfe
Gleiches gilt für die Sozialhilfegewährung. Um die desolate
Haushaltslage der Hauptstadt zu entschärfen droht Finanzsenator Peter
Kurth (CDU) den Sozialämtern mit drastischen Kürzungen. Wenn es den
Bezirken trotz einer steigenden Zahl der Sozialhilfebezieher nicht
gelänge, Einsparungen bei den Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe zu
erzielen, werde der Berliner Senat die entsprechenden Zuweisungen an die
Bezirke zukünftig verweigern. Dadurch drohen etwa den Großbezirken
Pankow und Mitte erhebliche Haushaltslöcher. Sein Vorwurf: Diese Ämter
geben bei vergleichbaren Empfängerzahlen mit anderen Bezirken wesentlich
mehr Mittel für Sozialhilfe aus. Kurth stützt seine Behauptung auf eine
erstmals erstellte Liste, die die Ausgaben der zwölf Berliner Bezirke im
Einzelnen ausweist. Danach lag der Aufwand etwa in dem nach der
Gebietsreform zu Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee zusammengelegten
Großbezirk gegenüber Reinickendorf im Jahre 1999 um rund 83 Mio. DM
höher. Und dies, obwohl beide Gebiete die gleiche Zahl an
Sozialhilfebeziehern hätten. Das gleiche Bild, so der Finanzsenator,
böte sich, wenn man die Bezirke Mitte und Neukölln gegenüberstelle.
Kurth wirft den Verantwortlichen vor, zu lax mit der Gewährung von
Leistungen umzugehen und zuwenig Anstrengungen bei der Vermittlung von
Arbeitsplätzen für Sozialhilfeempfänger zu unternehmen. Dabei hätte
ein Blick in den Petitionsbericht des Abgeordnetenhauses aus dem gleichen
Jahr genügt, um festzustellen, dass die Sozialämter hoffnungslos
überlastet sind. Mit 231 Beschwerden über die Zustände nehmen die
Sozialbehörden die Spitzenpositionen ein. Überfüllte Flure,
überarbeitete Mitarbeiter und unzufriedene "Kunden". Eine
angemessene Beratung ist aufgrund der mangelnden räumlichen Ausstattung
und personellen Unterbesetzung nach wie vor kaum möglich. Im besonderen
Maße sind hiervon vor allem sozialhilfeberechtigte Wohnungs- und
Obdachlose betroffen. Seit Monaten beklagen Mitarbeiter von
Wohnungsloseneinrichtungen, dass Menschen ohne festen Wohnsitz etwa vom
Sozialamt Spandau die Sozialhilfe systematisch verweigert wird. "Das
Amt versagt Wohnungslosen Leistungen und bezieht sie nicht in die
angestrebte Hilfeplanung mit ein. Bei Kritik werden sie aufgefordert,
dagegen zu klagen. Gerade Menschen, die sich in schwierigen
Lebensverhältnissen befinden, sind häufig gar nicht in der Lage ein
Widerspruchsverfahren durchzustehen. Offenbar sind sich die Mitarbeiter
dieses Bezirksamtes dessen bewusst und fahren so einen Sparkurs auf Kosten
der Betroffenen", kritisiert der Arbeitskreis Wohnungsnot, ein
Zusammenschluss von rund 70 Einrichtungen öffentlicher und freier Träger
der Wohnungslosenhilfe in Berlin. Diese Praxis entspricht nach Ansicht der
Organisation nicht den gesetzlichen Bestimmungen und bedeutet eine
"Amtspflichtverletzung", denn nach geltendem Recht erfüllt dies
den Tatbestand mangelnder Sicherstellung der Soforthilfe. Formal
begründen die Sozialamtsmitarbeiter ihr Verhalten damit, dass
Hilfebedürftige nicht bereits beim ersten Besuch im Amt sämtliche
Nachweise über den Nichtbezug weiterer Sozialleistungen nachweisen
können. Doch auch diese Rechtslage ist eindeutig. So schreibt das
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vor, dass einem Antragsteller nicht allein
der Nachweis seiner Leistungsberechtigung aufgebürdet werden darf und
erst recht gilt dies bei wohnungslosen Menschen. Aufgrund ihrer
Lebensumstände ohnehin beeinträchtigt, sind Menschen ohne eigenes Dach
über den Kopf selten in der Lage, ihre Rechte überhaupt geltend machen
zu können. Zwar besteht nach Aussage von Rechtsexperten in den meisten
Fällen bei einer Klage Aussicht auf Erfolg, doch scheuen viele diesen
Schritt. "Betroffene haben Angst gegen eine Behörde vor Gericht zu
ziehen, auf deren Hilfe sie möglicherweise noch auf Jahre hinaus
angewiesen sind", weiß Karsten Krull vom Arbeitskreis Wohnungsnot.
Durch die restriktive Praxis sind inzwischen auch die Projekte selbst in
ihrer Arbeit beeinträchtigt. Denn zur Wahrung der Rechte ihrer Klienten
sind die Sozialarbeiter immer häufiger gezwungen, Betroffene zum
Bezirksamt zu begleiten. Dies bedeutet, dass sie einen großen Teil ihrer
Arbeitszeit in den Wartezimmern der Behörde verbringen. Die Verwaltung
weist die Vorwürfe zurück. Den Mitarbeitern der Einrichtungsträger
wirft das Bezirksamt "mangelnde rechtliche Kenntnisse" vor. So
seien Kostenübernahmeanträge häufig sachlich unbegründet. Vielmehr
stünde die Auslastung der eigenen Einrichtungen im Mittelpunkt des
Interesses. "Allzu häufig ist offenkundig, dass Hilfebedarfe
formuliert werden, um eine Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes zu
betreiben", behauptet Sozialstadtrat Jürgen Vogt (CDU). Dem
widerspricht der Arbeitskreis vehement. So bewegt sich die
durchschnittliche Belegungszahl bei über 80 %. "In einigen
Einrichtungen bestehen sogar Wartezeiten von bis zu zwei Monaten",
sagt Karsten Krull. Ungeachtet dessen droht Sozialstadtrat Vogt in einem
Schreiben den Wohnungslosenunterkünften bei anhaltender Kritik zukünftig
sogar bereits die Entgegennahme von Kostenübernahmeanträgen
grundsätzlich zu verweigern. Als Akt "vertreibender Hilfe"
bezeichnet Peter Zedler von der Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen
das Vorgehen. "Hier setzt ein Sozialamt die Daumenschrauben an und es
ist zu befürchten, dass im Zuge der Kürzungspolitik andere bald
nachziehen werden", so Zedler.
Der Arbeitsmarkt
Trotz jüngster Rückschläge feiert die Bundesregierung die
monatlichen Zahlen von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg als
Erfolg. Denn die Arbeitslosenzahlen sanken nach dem Regierungswechsel
offiziell unter die Vier-Millionen-Grenze. Die strukturell ausgegrenzten
Gruppen auf dem Arbeitsmarkt spüren von der neuen Entwicklung gleichwohl
wenig. Ob Frauen, Behinderte, MigrantInnen, Langzeitarbeitslose oder
SozialhilfeempfängerInnen, neben Geschlecht und Mobilität entscheiden
Ausbildungs- bzw. Qualifizierungsgrad, Alter, sozialer Status und Dauer
der Erwerbslosigkeit über die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Praktisch
chancenlos sind dabei die sozialhilfebeziehenden Langzeitarbeitslosen. Und
am Ende dieser Schlange stehen - auch hier - die Wohnungslosen.
Vor allem in Berlin ist die Situation prekär. Zwar sieht das
Bundessozialhilfegesetz die Berücksichtigung von
Wiedereingliederungshilfen für die Betroffenen vor. Entgegen der
offiziellen Darstellung, wonach rund dreiviertel sämtlicher Bewohner von
kommunalen und gewerblichen Unterbringungen sowie Einrichtungen freier
Träger der Wohlfahrtspflege als "irgendwie" betreut gelten,
findet dies in der Praxis faktisch jedoch nur in den Einrichtungen mit
qualifizierter Betreuung statt. Ursache hierfür ist der zu hohe Anteil
der Betroffenen in den sogenannten niedrigschwelligen Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe sowie die mangelnde Fachkenntnis des
Arbeitsamtspersonals über die Problemlagen einer sich wandelnden
Wohnungslosenklientel. Zwar sehen die vom Berliner Senat formulierten
"Leitlinien zum Obdachlosenrahmenplan" vor, dass für die in
Berlin sozialhilfe- oder ordnungsrechtlich untergebrachten wohnungslosen
Personen Ausbildung und Arbeit "fundamentale und unerlässliche
Voraussetzungen zur
Reintegration sind und der Aspekt der beruflichen Wiedereingliederung
einzelfallabhängig und einzelfallbezogen beachtet und planerisch
berücksichtigt werden muss", doch erhalten nach Angaben der
Arbeitsverwaltung lediglich knapp 1900 Personen qualifizierte Betreuung.
Das heißt, bei zwei Drittel aller offiziell registrierten Wohnungslosen
findet entgegen der Absichtserklärung der Senatskoalition keine
arbeitsmarktorientierte Beratung statt. "Ohne gezielte Programme und
Betreuungsmaßnahmen haben Wohnungslose allein schon aufgrund ihrer
Wohnungslosigkeit fast keine Chance in einen herkömmlichen Arbeitsprozess
reintegriert zu werden", weiß Uwe Traulsen von Amos, einem
gemeinnützigen Verein. "Maßnahmen für Sozialhilfebezieher in
Zusammenhang mit Unterbringung gibt es dennoch nicht", bestätigt
Michael Seeger, Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Gesundheit, Arbeit
und Soziales. Und dies, obwohl eine im Auftrag der Behörde erstellte
"Planungsstudie zur Vorbereitung und Einschätzung von beruflichen (Re-)Integrationsmaßnahmen"
Erstaunliches ergeben hat. Danach sind die häufig als
"Arbeitsscheu" und als "Säufer" stigmatisierten
Wohnungs- und Obdachlosen in einem hohen Maße "arbeitsfähig"
bzw. "arbeitswillig".
In der von der Gesellschaft für interdisziplinäre Sozialforschung in
Anwendung mbH (Intersofia) erstellten Studie wurden insgesamt 760
Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen zu den
Voraussetzungen einer möglichen beruflichen (Re)-Integrationsmaßnahme
befragt. Danach wünschen sich 67 Prozent der Befragten eine feste
Arbeitsstelle, wollen sich beruflich orientieren oder streben eine
Qualifizierung an. Die qualifikatorischen Voraussetzungen der befragten
Wohnungslosen entsprechen in etwa dem gesellschaftlichen Durchschnitt.
Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass der Arbeitsplatzverlust
wesentlicher Auslöser für die Wohnungslosigkeit ist und mit zunehmender
Dauer der Erwerbslosigkeit eine ungünstigere gesundheitliche und
psychosoziale Verfassung einhergeht. "Beschäftigungs- und
Qualifizierungsangebote haben daher für beide Personengruppen eine
präventive Funktion. Für die Gruppe von Wohnungslosigkeit Bedrohter zur
Verhinderung des Wohnungsverlustes und für die Gruppe der Wohnungslosen
zur Vermeidung weiterer Deprivation während der Wohnungslosigkeit",
so die Wissenschaftler. Ausgehend von der Tatsache, dass 93 % der
befragten erwerbsfähigen Wohnungslosen auch ohne Arbeit sind, kann eine
soziale Intervention im Lebensbereich Wohnen nicht losgelöst geplant
werden vom Bereich Arbeit.
Zusammenfassend stellt die Studie fest, dass die Unterbringungsart
wohnungsloser Menschen entscheidend für die Chancen der Reintegration in
den Arbeitsprozess ist. Dies deckt sich mit der Einschätzung von
Experten. "Das Absinken während der Wohnungslosigkeit ist
katastrophal. Zur Untätigkeit verurteilt verschlechtert sich der Zustand
der Menschen dramatisch. Notwendig ist eine Vernetzung von
Arbeitsmarktintegration und Wohnungsmarktintegration", so eine
Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen. Als ein
mögliches Instrument zur weiteren Konkretisierung der in der Studie
erarbeiteten Vorschläge sieht Liane Schenk, Autorin des Papiers,
Expertenrunden, in denen sich Vertreter aus Verwaltung, Politik und freien
Trägern der Wohnungslosenhilfe zusammenfinden. Zwar hat sich inzwischen
in der Senatsverwaltung eine "Arbeitsgruppe" zum Thema Arbeit
und Wohnungslose gebildet, die an den Ergebnissen der Studie anknüpfen
soll. Doch auch über einem Jahr nach der Vorlage steht die
konstituierende Sitzung des Gremiums immer noch aus. Selbst die Studie
hält Sozialsenatorin Gabriele Schöttler (SPD) bis zum heutigen Tag unter
Verschluss.
Der öffentliche Raum
Auf der Straße lebend, sind Obdachlose eine mobile Zielscheibe für
strukturelle Gewalt. So wird Wohnungslosen immer häufiger mit dem
Instrument von Sondernutzungssatzungen und der daraus folgenden
Vertreibung aus den Innenstadtbereichen das Verfassungsrecht auf
Freizügigkeit verweigert. Ob in Einkaufspassagen, Fußgängerzonen oder
auf Plätzen, öffentliche und private Sicherheitsdienste richten ihr
Augenmerk immer häufiger auf Menschen, die ihrer optischen Erscheinung
nach nicht ins Bild passen. Dazu gehören vor allem Obdachlose,
Prostituierte und Straßenkinder. Der Kurs auf Bundes- und Landesebene war
nach der vom ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) im
Februar 1998 mit den Länderinnenministern und -senatoren beschlossenen
"Aktion Sicherheitsnetz" abgesteckt: Die konsequente Säuberung
der Innenstadtbereiche. Durch die "Zusammenarbeit mit privaten
Sicherheitsunternehmen durch Polizei und Ordnungsämter und die Schaffung
freiwilliger Polizeihelfer" soll die "entschlossene Verteidigung
der öffentlichen Ordnung gegen Rüpelszenen, öffentlichen Alkoholgenuss,
aggressives Betteln und öffentliche Rauschgiftszenen" erreicht
werden, so Kanther. Dieser Strategie liegt nach den Worten von Udo
Behrendes von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln die
Wiederbelebung des Begriffs der öffentlichen Ordnung zur Durchsetzung
außerrechtlicher Sozialnormen zugrunde. "Es geht in Wahrheit nicht
um Gefahrenabwehr und Kriminalitätskontrolle, sondern um die symbolische
Inszenierung sicherer Innenstädte", so Behrendes. "Die Polizei
wird dabei dazu benutzt, die immer deutlicher zu Tage tretende Kluft
zwischen Arm und Reich, insbesondere die Symptome sozialer Verelendung, zu
kaschieren, indem mit ihrer Hilfe die Optik der Bahnhöfe und
Fußgängerzonen ‚einkaufsbummelfreundlich' von Randgruppen gesäubert
wird."
In Berlin existieren im Rahmen des
Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) inzwischen über 30
"gefährliche Orte", an denen wesentliche Persönlichkeitsrechte
außer Kraft gesetzt sind, bis hin zu "verdachtsunabhängigen"
Personenkontrollen und Leibesvisitationen. Mit der vom ehemaligen
Bausenator Jürgen Klemann (CDU) vorgelegten Neuregelung über die
"Sondernutzung von öffentlichem Straßenland" hielt dieser die
Polizei an in den Innenstadtbereichen verstärkt gegen "Penner"
vorzugehen, die sich "die Hucke vollsaufen". Allein 1998 wurden
in Berlin 224 000 Platzverweise ausgesprochen. Klartext sprach
Hans-Jürgen Garstka, Datenschutzbeauftragter des Landes Berlin, bei der
Vorstellung des Jahresberichtes 1999, in punkto Ausbau der
Videoüberwachung, als er formulierte, dass ein "gewisser Drang, die
Überwachung immer dichter auszugestalten", festzustellen sei. Dies
sei nach den Worten Garstkas nicht mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit
vereinbar. Und Klaus Ronneberger vom Institut für Sozialforschung in
Frankfurt am Main sagt: "Seit Anfang der neunziger Jahre entfaltet
sich in den Metropolen ein Repressionsprogramm, das sich in erster Linie
gegen die Anwesenheit marginaler Gruppen an zentralen Orten und Plätzen
richtet. Die Absicherung exklusiver Räume erfolgt durch Überwachungs-
und Kontrollprozeduren, deren Ziel darin besteht, die wachsende
Fragmentierung der Gesellschaft territorial zu fixieren und segregierte
Orte herzustellen, die sich durch eine jeweils spezifische soziale
Homogenität auszeichnen sollen."
Christian
Linde
(Anm. der Red.: Über Gewalt an
Obdachlosen im öffentlichen Raum wurde auch im MieterEcho Nr. 283, S. 20
in "Der ‚Aufstand der Anständigen' und Tote dritter Klasse"
berichtet.)
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