Während in mehreren ostdeutschen
Bundesländern die Bagger den Schutt von abgerissenen Gebäuden bereits
beiseite schaffen, um den Leerstand von rund 1 Mio. Wohnungen zu
reduzieren, nehmen nun auch in Berlin Abrisspläne konkrete Formen an.
Nachdem Peter Strieder (SPD) noch vor Jahresfrist lediglich leerstehende
Kindertagesstätten und Schulen im Rahmen des Bundesprogrammes
"Stadtumbau Ost" in die Planung einbezogen hatte, kündigte der
Stadtentwicklungssenator nun auch den Abriss von Wohnungen an.
Unklar ist
allerdings, wie viele Mietshäuser der Abrissbirne zum Opfer fallen
sollen. Sollten es laut Aussage von Strieder zunächst nur 1000 sein,
korrigierte der Senator seine Angaben auf rund 3000. Nach einer internen
Studie seiner Verwaltung bewegt sich die Zahl bis zum Jahr 2010 bei
nunmehr 7000. Immerhin stehen nach Angaben des Berliner Senates derzeit
etwa 100.000 Wohnungen leer. Dies sind rund 5 % aller in der Region
verfügbaren Wohnungen in der Hauptstadt. Unter den Bezirken sind es vor
allem die östlichen, die mit Leerstand konfrontiert sind. Im Ostteil
liegt die Leerstandsquote bei den sich im städtischen Besitz befindlichen
Wohnungsbaugesellschaften bei 9 %, im Westteil hingegen bei 4 %. Allein
die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn verzeichnet einen durchschnittlichen
Leerstand von 13 %. Allerdings nicht, wie noch nach dem Mauerfall, in den
Plattenbauten, denn heutzutage ist in erster Linie der Altbaubestand von
dieser Entwicklung betroffen. Während von den sanierten Häusern 7 % als
nicht mehr vermietbar gelten, liegt der Anteil bei den unsanierten
Altbauten inzwischen bei 20 %. Zu den Hauptursachen des wachsenden
Leerstandes gehören der Wegzug aufgrund fehlender Arbeitsplätze und der
Wunsch nach den eigenen vier Wänden in Stadtrandgebieten, bilanzieren die
Wohnungsbaugesellschaften. Um durch ausbleibende Mieteinnahmen nicht in
den Konkurs zu schlittern, hat die Wohnungsbaugesellschaft in Marzahn nun
die Notbremse gezogen und sämtliche Sanierungsmaßnahmen für die noch
ausbleibenden 30.000 Wohnungen des Bezirks eingestellt. Da die
Gesellschaft davon ausgeht, dass die Wohnungen selbst nach einer Sanierung
auf dem Markt kaum Abnehmer finden werden, beabsichtigt das Unternehmen
den ersten Gebäudeabriss mit einem Doppelhochhaus in der
Marchwitzastraße 1-3. Mit diesem Vorstoß bringt die Gesellschaft auch in
Berlin einen Stein ins Rollen, der einer Empfehlung folgt, die eine noch
von dem ehemaligen Bundesbauminister Reinhard Klimmt (SPD) eingesetzte
Expertenkommission zum Thema "Wohnungswirtschaftlicher Wandel in den
neuen Bundesländern" abgegeben hat. Danach sei der dramatisch
ansteigende Leerstand ohne die Beseitigung nicht mehr marktfähiger
Wohnungen nicht zu bekämpfen. Dies fordert auch der Bundesverband der
Wohnungswirtschaft (GdW). Die andauernde Stadtflucht werde nach
Einschätzung der Organisation weiter zunehmen und verlangt deshalb einen
raschen Abriss des dauerhaft leerstehenden Wohnungsbestandes.
Bestätigt wird der befürchtete Trend in
Berlin durch die Zahlen des Statistischen Landesamts. So ist ein
anhaltender Wegzug vor allem aus den Großsiedlungen in den Ostberliner
Bezirken zu verzeichnen. Seit 1994 ist die Zahl der Bewohner allein in
Marzahn von knapp 163.000 auf rund 140.000 zurückgegangen. Eine ähnliche
Entwicklung vollzieht sich auch in Hohenschönhausen, Hellersdorf und
Lichtenberg.
"Durch Neubau Leerstand selbst
erkauft"
Kritiker einer Abrisspolitik werfen den Wohnungsunternehmen eine
Mitschuld an der entstandenen Situation vor. Danach haben neben dem
hemmungslosen Neubau zu Anfang der neunziger Jahre und den nach wie vor
ungeklärten Eigentumsverhältnissen im Altbaubestand vor allem der Umgang
mit den Mietern und die zu hohen Mieten im Preis-Leistungsverhältnis
nicht nur zu dem eklatanten Leerstand geführt, sondern sei
mitverantwortlich für die Finanzsituation der Unternehmen - der
Schuldenberg der Berliner Wohnungsbaugesellschaften beläuft sich auf
derzeit 10 Mrd. Euro. Gleichzeitig verhindere die restriktive
Belegungspolitik der Sozialämter den Zuzug von neuen Mietern. Allein die
zu enge Grenzziehung bei der Wohnungsgröße bei maximal 50 qm für einen
Ein-Personen-Haushalt verhindere Tausende von Mietabschlüssen. Doch
während immer mehr Wohnraum leer steht, setzen einzelne Vermieter die
Hürden für einen Vertragsabschluss sogar noch höher und betreiben die
Ausgrenzung von potenziellen Mietern. "Gute Wohnqualität, heißt
gute Qualität von Mietern. Wer billig saniert, um die Mieten niedrig zu
halten, bekommt auch nur Mieter, die geringe Mieten bezahlen wollen oder
können. Wir wollen Doppelverdiener und problemlose Mieter", sagt
Karl Heinz Heinken, Mitglied der Investorengruppe ASA, die als
Zwischeneigentümer im Zuge der Altschuldenregelung vor fünf Jahren rund
5000 Plattenbauwohnungen erworben hat und diese - neben Vermietung -
vorzugsweise als Eigentum in den Leerstandsgebieten zu veräußern
versucht. Offenbar mit nur mäßigem Erfolg.
"Durch Neubau haben sich die
Wohnungsunternehmen den Leerstand selbst erkauft. Deshalb darf es nicht
sein, dass erst öffentliche Gelder für den Neubau zur Verfügung
gestellt wurden, um jetzt öffentliche Gelder für den Abriss
auszugeben", kritisiert Barbara Oesterheld, wohnungspolitische
Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Denn im
Programm "Stadtumbau Ost" ist verankert, dass sich der Bund mit
30 Euro/qm beim Rückbau von Wohnfläche - bei variablem Länderanteil -
beteiligt und das Votum der vom Bundesbauminister eingesetzten
Expertenkommission sah im vergangenen Jahr sogar vor, als Folge der
desolaten Finanzlage der Eigentümer den Abriss von Wohnungen mit bis zu
140 DM/qm aus staatlichen Mitteln zu fördern. "Wenn jetzt Wohnraum
in großem Umfang zerstört wird, müssen in absehbarer Zeit wieder neue
Wohnungen gebaut werden. So ist in Zukunft mit einer vermehrten
Zuwanderung aus Osteuropa zu rechnen", warnt Oesterheld.
Um eine Abrisswelle zu verhindern,
verlangen Bündnis 90/Die Grünen ein stadtplanerisches Gesamtkonzept,
niedrigere Mieten, die Umnutzung einzelner Gebäude für den Kinder- und
Jugendbereich und gegebenenfalls die zeitweilige Schließung von
Miethäusern. Dass die Wohnungsunternehmen aus wohnungsmarktpolitischen
Gründen Panik machen und auf Abriss setzten, verwundere kaum, so
Oesterheld. Denn die Vermieterseite befände sich durch den derzeitigen
Wohnungsüberhang gegenüber den Mietern in einer ungünstigeren Lage,
denn Mieterhöhungen seien schließlich schwerer durchsetzbar.