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Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt

Sozialämter verweigern die Übernahme von Mietkautionen


Schenkt man den Worten von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) Glauben, dann stehen in Berlin derzeit mindestens 100.000 Wohnungen leer. Der Wohnungsmarkt ist "entspannt", der Mieter hat die freie Wahl und selbst die Miethöhe ist verhandelbar. Doch der Traum von einem Tapetenwechsel rückt für viele Mieter trotzdem in weite Ferne. Zuallererst für diejenigen, die auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen sind. Denn Sozialhilfeempfänger stoßen im Falle eines beabsichtigten Wohnungswechsels bei den Behörden auf taube Ohren. Ist dieser nämlich mit der Zahlung einer Mietkaution verbunden, sind die Sozialämter nicht mehr bereit, den fälligen Betrag zur Verfügung zu stellen. Und dies, obwohl das Bundessozialhilfegesetz nach Paragraph 15a die Kostenübernahme vorsieht.

Unmittelbar betroffen von dieser Maßnahme sind mindestens eine viertel Million Menschen der Berliner Mieterschaft. Denn laut Statistischem Landesamt liegt die Zahl der Sozialhilfebezieher derzeit bei 265.000, und nahezu ein Drittel von ihnen sind MigrantInnen. Die Ämter begründen ihr Vorgehen mit der "Leerstandssituation" und fordern von ihren Klienten deshalb auf diejenigen Angebote auszuweichen, bei denen die Sicherheitsleistung - in der Regel drei Nettokaltmieten - vom Hauseigentümer nicht verlangt wird. Nachdem in der Vergangenheit vor allem Neukölln, Lichtenberg und Kreuzberg die Zahlung bereits verweigerten, haben sich nun die zuständigen "Fachbereichsleiter" sämtlicher Bezirke mit dem Segen ihrer Sozialstadträte auf diese Praxis geeinigt.

Doch während Wohnungsinhaber bei einem negativen Bescheid zumindest in ihrer angestammten Behausung bleiben können, trifft diese Praxis Wohnungs- und Obdachlose besonders hart. "Wer ohne eigene vier Wände leben muss, ist dazu verurteilt, sein Leben weiter in einer Notübernachtung oder auf der Straße zu verbringen", sagt Peter Zedler von der Beratungsstelle für Wohnungslose in der Levetzowstraße. Nachdem Betroffene gegenüber den Mitarbeitern der Einrichtung, die Wohnsitzlose bei der Erlangung von Wohnraum unterstützen, in den zurückliegenden Monaten zunehmend beklagt haben, dass ihre zuständigen Sachbearbeiter einen entsprechenden Antrag ablehnen, hat die Einrichtung der Caritas nun eine Befragung unter den städtischen Wohnungsbaugesellschaften durchgeführt. Zwar gaben 18 der 21 Unternehmen an, grundsätzlich Wohnungen an Sozialhilfeempfänger zu vermieten. Auch existiere bei fast allen der befragten Unternehmen bei der Belegung keine Quotierung. Doch 71 Prozent der Vermieter verlangen bei der Anmietung einer Wohnung grundsätzlich eine Mietkaution. "Durch ihre Bewilligungspraxis schließen die Sozialämter wohnungssuchende Obdachlose vom Wohnungsmarkt aus", kritisiert Peter Zedler.

Mogelpackung Geschütztes Marktsegment
Auch die Erlangung von Wohnraum über das so genannte Geschützte Marktsegment hat nur eine begrenzte Wirkung. Der Kooperationsvertrag, geschlossen 1993 im Auftrag des Berliner Senates zwischen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, den Bezirksämtern und den Städtischen Wohnungsunternehmen, verpflichtet diese, Wohnungen für die Vermietung an Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit unmittelbar bedrohte Menschen zur Verfügung zu stellen. Allerdings nur auf dem Papier. Denn während der im Jahr 2000 modifizierte Vertrag vorsieht, dass die Wohnungsunternehmen ein Kontingent von jährlich 1350 Wohnungen bereitstellen müssen (zwischen 1994 und 1999 waren es noch 2000), bleiben die Unternehmen weit hinter ihren Verpflichtungen zurück. So waren es im Jahr 2000 gerade einmal 476 Wohneinheiten und im vergangenen Jahr lediglich 845. Doch während der Stadtentwicklungssentor auf Grund des Leerstandes für die kommenden Jahre den Abriss von 7000 Wohnungen angekündigt hat (vgl. MieterEcho Nr. 292), begründen die städtischen Wohnungsunternehmen die geringe Zahl der zur Verfügung gestellten Wohnungen mit dem "geringen Bestand" an entsprechenden Wohnraum. Die Folge: Inzwischen existieren für die Bewerber in den Bezirken lange Wartelisten. Gleichzeitig scheitern Vermittlungen an dem mangelnden Standard und dem katastrophalen Zustand der Wohnungen. Unterm Strich bleibt den Interessenten häufig nur die "Wahl" in unattraktiver Stadtrandlage. "Die Unternehmen tragen ihre Probleme bei der allgemeinen Vermietbarkeit von Wohnraum in die Angebotspalette des Geschützten Marktsegments", kritisiert die Arbeitsgemeinschhaft Leben mit Obdachlosen, ein Zusammenschluss von rund 70 kirchlichen und sozialen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Darüber hinaus gelten laut Auskunft der Senatssozialverwaltung in entscheidenden Punkten des Vertrages die gleichen Zugangshürden wie bei Vertragsabschlüssen auf dem freien Wohnungsmarkt. So können Vermieter nicht nur eine "Schufa"-Auskunft einholen und vom potenziellen Mieter eine Bestätigung über Mietschuldenfreiheit verlangen, sondern sind ebenfalls berechtigt, von den "Wohnungsnotfällen" eine Mietkaution zu verlangen.



Urteil des OVG Lüneburg
Der Caritasverband wirft den Sozialämtern Rechtsbruch vor. In einem Schreiben an die Sozialstadträte verlangt die Caritas eine Änderung der gegenwärtigen Praxis. Der Verband stützt sich auf das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. In einem Urteil vom Februar 2000 hatte das Gericht die Klage einer Sozialbehörde abgewiesen, mit der diese die Weigerung einer entsprechenden Sicherheitsleistung durchsetzen wollte. In ihrer Begründung stellte die Kammer fest, dass es zur zentralen Aufgabe der Sozialbehörde gehöre, dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. "Hierzu gehört es, der Gefahr der Ausgrenzung des Hilfebedürftigen aus der Gemeinschaft entgegenzuwirken. Er muss in die Lage versetzt sein, in der Umgebung von nicht Hilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben, und deshalb ist sicherzustellen, dass er gegenüber der übrigen Wohnbevölkerung nicht aus dem Rahmen fällt", so das Gericht. Dieses Aufgabe könne jedoch nicht erfüllt werden, wenn ein Sozialhilfeempfänger nur solche Unterkünfte anmieten könne, die unabhängig von der Bestellung einer Mietsicherheit angeboten werden.

Hilfezusage ohne rechtsverbindliche Bedeutung
Auf dem Hintergrund des Urteils hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun eine Ausnahmeregelung angekündigt. Sozialstadträtin Kerstin Bauer (PDS) versicherte vor dem Sozialausschuss, im "Einzelfall" Hilfen prüfen zu lassen. "Allerdings handelt es sich lediglich um eine Absichtserklärung, die keinerlei rechtsverbindliche Bedeutung hat", kritisiert Manuel Sahib, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bezirksparlament. In einer Mitteilung verweist das Amt für Soziale Dienste denn auch darauf, dass es sich "nicht um eine Pflichtleistung handelt". Die Bewilligung liegt demnach im Ermessen des Sozialhilfeträgers, der "in bestimmten Situationen Darlehen für Mietkautionen gewährt". Außerdem besteht nach den Worten von Bauer nur dann Aussicht auf einen positiven Bescheid, wenn die Betroffenen nachweisen könnten, sich intensiv um kautionsfreien Wohnraum bemüht zu haben.

 

Quelle: Beratungsstelle Levetzowstraße, Caritasverband Berlin/Berliner Stadtmission - Soziale Dienste gGmbH


Doch in der privaten Wohnungswirtschaft dürften die Aussichten auf Erfolg gering sein. Während der Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU), der rund die Hälfte der 2,8 Mio. Wohnungen in der Region verwaltet, davon ausgeht, "dass die meisten der privaten Anbieter Kautionen zur Bedingung eines Mietabschlusses voraussetzen", blieben nur noch die Genossenschaften. "Dort zeichnet sich eine abweichende Tendenz ab. Zunehmend stufen Genossenschaften die zu erwerbenden Anteile ihrer Mitglieder als ausreichende Sicherheit ein, sodass auf eine Kaution verzichtet werden kann", sagt Simone Hoffmann vom BBU-Landesverband. Ein schwacher Trost. "Denn Wohnungsinteressenten, die in der Lage sind Genossenschaftsanteile zu erwerben, müssten nicht beim Sozialamt anstehen und um eine Mietkaution zu betteln", räumt auch Simone Hoffmann ein.

Risikofaktor Bürgschaftsprinzip
Unterdessen hat die Finanzverwaltung in einer Stellungnahme gegenüber der Caritas klargestellt, dass im Zuge der Kürzungsmaßnahmen den Bezirken zukünftig unabhängig von deren internen Beschlüssen entsprechende Finanzmittel für die Übernahme von Mietkautionen nicht mehr zur Verfügung gestellt werden sollen. Statt dessen soll generell das Bürgschaftsprinzip gelten. Ob die Vermieterseite die Neuregelung akzeptieren wird, ist allerdings fraglich. Denn Bürgschaften könnten für Hauseigentümer teuer werden. So sieht das Bürgschaftsgesetz vor, dass "der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern kann, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat". Das heißt im Klartext: Gerichtskosten, Anwaltshonorare und Verfahrenszeiten von über einem Jahr.

Christian Linde

Veröffentlicht in: MieterEcho, Ausgabe 293, Oktober 2002
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