Während die Zahl der
Zwangsversteigerungen auf Rekordniveau steigt, endet der Wunsch vom
Eigenheim immer häufiger in den Wartezimmern von
Schuldnerberatungsstellen. Was für zahlreiche Firmen täglich Realität
wird, bleibt auch immer mehr privaten Haushalten nicht erspart: Die
Pleite.
Dabei
nimmt der Anteil derer, die durch Bildung von Wohneigentum ursprünglich
in eine sorgenfreie Zukunft blicken wollten, dramatisch zu. Nach Angaben
der Argetra GmbH in Ratingen, dem Herausgeber des
Versteigerungskalenders in Deutschland, hat sich der Umfang der
Zwangsversteigerungen in den zurückliegenden sechs Jahren nahezu
verdreifacht. Lag die Zahl 1996 noch bei 32.200, betrug der Anteil 1999
schon 53.219. Nach 57.600 im Jahr 2000 erreichte die Zahl der
Immobilien, die bundesweit unter den Hammer kamen, im Jahr 2002 die
Rekordhöhe von 87.820. Der Wert der Objekte belief sich auf rund 18
Mrd. Euro. Zwei Drittel der Immobilien waren Eigenheime und
Eigentumswohnungen. Nach Einschätzung von Wienfried Aufterbeck,
Geschäftsführer der Argetra, ist das Ende der Fahnenstange damit
jedoch noch nicht erreicht. "Im kommenden Jahr muss mit einem
weiteren Anstieg gerechnet werden", prognostizierte
Aufterbeck.
Vor allem Haushalte in
wirtschaftlich schwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit sind von
der Entwicklung betroffen. Zu den Spitzenreitern gehört neben
Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen auch das Land Berlin. In
der Hauptstadt, in der nach Schätzungen von Experten mindestens 150.000
Haushalte überschuldet, das heißt zahlungsunfähig sind, hat sich der
Anteil in den zurückliegenden zehn Jahren sogar mehr als verdreifacht.
Insbesondere seit Mitte der 90er Jahre ist ein rasanter Anstieg zu
verzeichnen. Nach Angaben des Statistischen Landesamts hat sich die Zahl
von 1.090 im Jahr 1994 auf 3126 im Jahr 2001 erhöht. Tendenz weiter
steigend. Denn bis zum dritten Quartal 2002 (Stand 30. September,
aktuellere Zahlen lagen bei Redaktionsschluss nicht vor) registrierte
die Behörde bereits wieder 2.620 Fälle von Zwangsverkäufen.
Aktuell sind im
Versteigerungskalender der Firma Immobilien-Scout für die Region
Berlin-Brandenburg mehr als 300 Eigentumswohnungen und
Einfamilienhäuser zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben.
Schuldenfalle ist
vorprogrammiert
Die Ursachen, warum am Ende des Traums vom eigenen Heim immer
häufiger der finanzielle Ruin steht, sind vielschichtig. Das Dilemma
ist in zahlreichen Fällen bereits in der Kalkulation angelegt. Eine zu
geringe Eigenkapitaldecke, Finanzierungsrisiken und zu enge
Belastungsspielräume auf Grund zu geringer Einkommen zwingen nach dem
Auslaufen der Fördermittel zur Aufnahme immer neuer
Überbrückungskredite und Tilgungsdarlehen. "Treten
unvorhersehbare Risiken wie Arbeitsplatzverlust, Krankheit oder
Ehescheidung ein, ist das Ende endgültig besiegelt", weiß Hans
Gimmel von der Beratungsstelle "Neue Armut". Seit Mitte der
90er Jahre ist der Schuldnerberater mit dem Wohneigentumsproblem
konfrontiert. Inzwischen gehört jeder Zehnte seiner Klienten zu
denjenigen, deren Schuldenberg auf dem Traum vom eigenen Heim gewachsen
ist. "Ehe ein Schuldner den Weg zu uns findet, hat er oft eine
Wegstrecke von 15 Jahren hinter sich, in denen der Betroffene versucht
hat, etwas mit allen Mitteln zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Unsere Hauptaufgabe besteht deshalb zunächst darin, den Traum von den
eigenen vier Wänden zum Platzen zu bringen."
Paradigmenwechsel in der
Wohnungspolitik
Die Horrorszenarien in den Akten von Schuldnerberatern sind nicht
zuletzt das Ergebnis einer Entwicklung, deren Anfänge bis in die 60er
Jahre zurückreichen. Die Vorstellung der Politik, weg von der
klassischen Mieterstadt Berlin hin zur Eigentümerstadt nahm ihren
Anfang bereits Mitte der 60er Jahre mit dem Beginn der
Eigenheimförderung. Ab den 70er Jahren folgte die schrittweise
Aufhebung der Mietpreisbindung und die Möglichkeit zur Umwandlung von
Miet- in Eigentumswohnungen. Das Dachausbauprogramm Mitte der 80er Jahre
läutete endgültig den Wendepunkt in der Wohnungspolitik ein. Statt des
öffentlich geförderten Mietwohnungsbaus rückte die Förderung des
Wohneigentums durch Kreditvergabe immer mehr in den Mittelpunkt. Seit
1997 ist der soziale Wohnungsbau in der Hauptstadt Geschichte.
Zusätzlich wurden die landeseigenen Wohnungsunternehmen angewiesen,
Wohnungen aus dem Bestand an ehemalige Mieter oder Investoren zu
verkaufen.
Höhepunkt der gesamten
Entwicklung war die mit dem Mauerfall verbundene Vision von Berlin als
Zentrum Europas. Diese trieb nicht nur die Immobilienpreise in
astronomische Höhen, sondern lockte darüber hinaus mit lukrativen
Steueranreizen Wohneigentum im "Umland" zu bilden. Die
offensiven Werbekampagnen der Bausparkassen verfehlten ihre Wirkung
ebenfalls nicht und erzeugten auch bei den unteren Einkommensklassen
einen regelrechten "Eigenheimwahn". Angesteckt von der Idee,
der Wechsel vom Mieter zum Eigentümer führe nicht nur zu mehr
Wohnqualität, sondern auch zu sozialer Sicherheit, folgten viele
Interessenten der Verlockung und suchten den Weg zu den Geldinstituten.
Die Perspektive "Herr im eigenen Haus", als Wohneigentümer
unkündbar und im Alter von steigenden Mieten befreit zu sein,
führte dazu selbst offensichtliche Risiken außer Acht zu lassen.
"Den Traum vom eigenen Haus redeten sich viele willentlich schön.
Gleichzeitig saßen in den Banken genügend Schönrechner, die den
Interessenten die Entscheidung erleichtert haben", sagt "Neue
Armut"-Mitarbeiter Hans Gimmel.
Schrecken ohne Ende
Der Ausweg aus der Schuldenfalle bleibt den meisten jedoch
verschlossen. Denn nach einer Zwangsversteigerung sitzen die Betroffenen
auf Grund der Verluste durch den allgemeinen Preisverfall der Immobilien
auf einem Schuldenberg in sechsstelliger Höhe. "Wegen des
übersättigten Immobilienmarkts werden durchschnittlich gerade einmal
40 % des Verkehrswerts erzielt", so eine Rechtspflegerin des
Amtsgerichtes Köpenick. Die existierenden Hilfeangebote können mit der
steigenden Nachfrage nicht mehr Schritt halten. Schon heute liegen die
Wartezeiten bei etwa einem Jahr. Mit der Kürzungspolitik des Berliner
Senats setzt sich neben der Schließung von Einrichtungen auch im
kommenden Jahr der Personalabbau weiter fort. Allein die "Neue
Armut" in Neukölln verliert 30 % ihrer Mitarbeiter. Auch im Bezirk
Treptow-Köpenick, dem Spitzenreiter in der Hitliste der
Zwangsversteigerungen, müssen die Schuldnerberater mit einer
Reduzierung von rund 30 % rechnen. Damit sind die Hilfesuchenden
gezwungen, nach anderen, schnelleren Wegen Ausschau zu halten.
"Diese Situation wird gnadenlos von Geschäftemachern der übelsten
Sorte zum eigenen Vorteil umgemünzt, die die verzweifelte Situation von
überschuldeten Menschen ausnutzen", beklagt die
Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung (LAG SIB) in
Berlin. Die gewerblichen Anbieter ködern ihre Kunden mit reißerischen
Inseraten in Tageszeitungen und Illustrierten insbesondere mit dem
Versprechen einer schnellen Abwicklung. Häufig beziehen diese ihre
Informationen vereinzelt sogar aus dem Schuldnerregister, um potenzielle
Kunden direkt anzusprechen. Kommt eine vertragliche Vereinbarung zu
Stande, führt dies zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen
Situation der Betroffenen. Claus Richter von der
Landesarbeitsgemeinschaft prognostiziert: "Die unvermeidliche Folge
ist, dass die Schulden nicht abnehmen, sondern sogar noch zunehmen und
bald der Gerichtsvollzieher erneut vor der Tür steht."
Christian Linde
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