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Keine Wahl in der Suppenküche

Trotz BSE müssen Arme und Obdachlose essen, was auf den Tisch kommt

Wenn Otto Normalverbraucher im Supermarkt vor der Kühltruhe steht, hat er die Wahl: Geflügel, Rind- oder Schweinefleisch. Wer allerdings wie Obdachlose auf den Verzehr einer Mahlzeit in einer der über vierzig zumeist von den Kirchen betriebenen Suppenküchen und Wärmestuben in der Hauptstadt angewiesen ist, hat keine Wahl. Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt. 

Während Kantinen wegen der BSE-Diskussion Rindfleisch vorläufig aus ihrem Programm gestrichen haben, servieren die meisten Suppenküchen weiter die bisher üblichen Gerichte. Gemüsesuppen mit Rindfleisch, belegte Brote mit Wurst.

Ursache ist hier offenbar die finanzielle Ausstattung der Einrichtungen. Denn die Mittel, die der Berliner Senat bereitstellt, reichen nicht aus. Um für die Bedürftigen einen wöchentlichen Speiseplan zusammenstellen zu können, sind die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe deshalb immer häufiger auf Lieferungen der Berliner Tafel angewiesen. Zwar befindet sich unter den vor allem von Supermarktketten abgegebenen Verbrauchsgütern auch Fleisch, doch betont die Organisation, die seit acht Jahren Lebensmittel einsammelt und an Bedürftige weitergibt, sich nicht als Entsorgungsunternehmen für unverkäufliche Waren mißbrauchen zu lassen. »Nur wer Fleisch will, wird auch mit Fleisch beliefert«, versichert Sabine Werth, Leiterin der Tafel.

Allerdings haben Einrichtungen, die kostengünstig wirtschaften müssen, kaum Spielraum, um das Essenangebot zu verändern. »Wenn wir kein Geld mehr haben, können wir nicht mehr auswählen«, klagt Dagmar Berndt von der Charlottenburger Obdachlosentagesstätte Seelingtreff. Das Ergebnis dieses Dilemmas landet täglich auf den Tellern der Betroffenen. Und die Zahl derer, die auf einen Besuch in einer Suppenküche angewiesen sind, wächst. »Immer häufiger kommen auch Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in unser Haus«, berichtet Dagmar Berndt. So auskunftsfreudig wie die Bereichsleiterin von Amos, dem Trägerverein des Seelingtreffs, ist man anderenorts nicht. Denn viele soziale Projekte im Wohnungslosenbereich befürchten weitere Mittelkürzungen.

Schließlich bindet der Senat die Mittelzuwendungen an die Vorgabe, daß die Essensvergabe ausschließlich an Menschen ohne eigenes Dach über dem Kopf erfolgt. Doch die Vorstellungen der Landesregierung entsprechen längst nicht mehr der Realität. »Immer mehr sozial Schwache sind gezwungen, durch kostenlose Speisen ihre Haushaltskasse zu entlasten«, bestätigt Christiane Pförtner, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen. Insgesamt beliefert die Berliner Tafel neben Wohnungslosenprojekten mittlerweile täglich über 220 soziale Einrichtungen. Darunter auch zehn Schulen. Obwohl die Diskussion um Rinderwahnsinn auch unter den Nutzern der Wohnungsloseneinrichtungen der Stadt ein Thema ist, regt sich kaum Kritik an den Speiseplänen. »Die meisten sind froh, wenn sie überhaupt eine warme Mahlzeit pro Tag ergattern können«, sagt Pförtner.

Christian Linde

Veröffentlicht in: junge welt, 20. Februar 2001 
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