Robert Schwarz ist ein
höflicher Mensch. „Die Dame?", spricht er die Passantinnen in
der Brandenburger Straße in Potsdam an, „die Dame, darf ich Ihnen
auch mal die Obdachlosenzeitung für Berlin und Brandenburg
mitgeben?"
Robert
Schwarz verkauft „Die Stütze", die jüngste der drei
Berliner Straßenzeitungen. Viele Obdachlose bieten alle drei Blätter
feil: die motz, den Strassenfeger und die Stütze. Doch Robert Schwarz
findet, „man sollte einem Verein treu bleiben."
Der „Stütze - Aufbruch
von unten e.V." wurde vor zwei Jahren gegründet. Ein halbes Jahr
später ging die erste Zeitungsausgabe in Druck. Nach einem weiteren
Jahr eröffnete der Verein eine Notunterkunft mit sieben Betten in einem
ehemaligen Ladengeschäft im Wedding. Dort, in einer ruhigen
Kopfsteinpflasterstraße mit türkischer Bäckerei und Tabakladen, ist
auch die Redaktion untergebracht. Vereinsgründer und Chefredakteur Uwe
Spacek sitzt im Vorraum. Er trägt Jeans und Karohemd, Brille und Bart,
das rotblonde Haar hat er zu einem Pferdeschwanz gebunden. „Zwei Jahre
vollkommener Selbstausbeutung" liegen hinter ihm, sagt er. Doch zum
Leben reicht es immer noch nicht. Der 42-jährige bekommt
Arbeitslosengeld. Um sich ein paar Euro dazu zu verdienen, zieht er
regelmäßig mit einem Stapel von Stützen im Arm los. „Ich bin
wahrscheinlich der einzige Redakteur, der seine Zeitung selbst
verkauft." Es klingt nicht bitter, eher amüsiert.
Uwe Spacek will kein
klassisches Obdachlosenblatt machen, sich nicht auf die
Berichterstattung rund um die Wohnungsnot beschränken. „Wir sind ein
soziales Magazin, das Themenvielfalt aufweist", sagt er.
Recht auf Faulheit unter
der Lupe
In der aktuellen Ausgabe geht es um Lust, Liebe und Sexualität.
Anlass ist der Christopher-Street-Day und die Love-Parade. Auch das
Recht auf Faulheit oder den Zusammenhang von Umweltsünden und Armut
haben die Stütze-Macher schon beleuchtet. Es gibt feste Rubriken, sie
heißen O-Ton, Leidkultur und Ratgeber. Das Layout ist
abwechslungsreich, die Vielzahl von Schriftarten und
Gestaltungselementen wirkt jedoch etwas unruhig.
Gemacht wird die Stütze von
drei Redakteuren, zehn festen Autoren und zwei Fotografen. Auch
Verkäufer kommen in der Stütze regelmäßig zu Wort. „Viele wollen
nicht nur die Zeitung verkaufen, sie wollen sich einbringen", sagt
Uwe Spacek in seiner unaufgeregten Art. Man fragt sich nicht, warum er
sich für Arme und Obdachlose engagiert, es passt zu ihm. Seine Kindheit
hat Uwe Spacek zum Teil im Ausland verbracht, unter anderem in Tansania.
Sein Vater war beim Rundfunk, Abteilung Außenpolitik. Als er zehn war,
kehrte er mit seinen Eltern in die DDR zurück. Er sagt: „Ich habe an
den Sozialismus geglaubt." Heute kämpft er für die, die durch das
soziale Netz gefallen sind. Angefangen hat Uwe Spacek bei der PDS-nahen
Berliner Linken Wochenzeitung, später hat er ein
Journalistik-Fernstudium begonnen und als Redakteur beim „Strassenfeger"
gearbeitet. Doch es gab Streit, er verließ das Blatt und machte sich
selbständig.
Der „Strassenfeger"
existiert seit 1995, hieß zwischenzeitlich Straßenzeitung und wird vom
Verein „Mob - Obdachlose machen mobil e.V." herausgegeben.
Gemacht wird das Blatt von Zivildienstleistenden, ehrenamtlichen Helfern
und Leuten, die „Arbeit statt Strafe", „Arbeit statt
Sozialhilfe" oder „gemeinnützige zusätzliche Arbeit"
leisten. Auch die Verkäufer selbst liefern regelmäßig Beiträge.
In der Redaktion an der
Oderberger Straße im Prenzlauer Berg ist es laut und staubig, das Haus
wird saniert. Die Strassenfeger-Leute bereiten den Umzug in ihr neues
Domizil an der Prenzlauer Allee vor. Dort sollen die einzelnen
Mob-Projekte – das Kaffee Bankrott, die Redaktion und ein Trödelmarkt
– unter einem Dach vereint werden.
Der Mob-Vorsitzende ist im
Urlaub. Deshalb schmeißt Kerstin Herbst den Laden. Die 43-Jährige ist
über die Kommunalpolitik zum Strassenfeger gekommen. Sie sitzt für die
Grünen in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung, hörte dort von
mob e.V. und begann sich zu engagieren – ehrenamtlich.
Im Frühjahr ist ihr dann
auch noch „die Redaktionsarbeit zugefallen", weil die
dreiköpfige Redaktionscrew das Blatt verlassen hat. Der Grund:
Unstimmigkeiten, es ging um Honorare. Kerstin Herbst – kurze Haare,
schwere Lederjacke, Zigarette in der Hand – ist eine resolute Frau.
Sie fühlt sich wohl in der Rolle der Macherin. Der Szenenjargon à la
„Cash auf die Kralle", „Staatsknete", „wenn die Technik
abschmiert" geht ihr leicht über die Lippen. Über sich selbst
spricht sie nicht gern. Auch über die ständigen Querelen bei den
Straßenzeitungen nicht. Nur so viel: „Das sind ja alles linke
Projekte und keiner ist so gut darin, sich zu zerstreiten, wie linke
Gruppen."
Kerstin Herbst leitet die
allwöchentliche Redaktionssitzung im benachbarten
Prenzelberg-Straßencafé mit Blick auf Abrisshäuser neben schmucken,
frisch sanierten Fassaden. Sie bespricht die eben gedruckte Ausgabe,
plant die neue. Um alternative Gastronomie soll es gehen. Auch der
Strassenfeger will sich nicht allein aufs Soziale verlegen. Der Grund:
„Unsere Leserschaft ist heterogen." Außerdem: „Immer nur zu
schreiben, wie schlecht es den Armen geht, das ist zu platt", sagt
Kerstin Herbst. Auch der Strassenfeger hat feste Rubriken. Dazu gehört
das Promi-Interview – zuletzt mit Dieter Thomas Heck, der
Sozialhilferatgeber und die Schnittstelle, in der ein rauschebärtiger
Mann namens Wolfgang Sabbath das Weltgeschehen kommentiert. Ein Standard
ist auch die Berichterstattung über die Sanierung des eigenen Hauses.
Das ist dem Verein geschenkt worden. Später sollen dort wieder die
alten Mieter und Obdachlose einziehen. Der Strassenfeger hat originelle
Bildideen und gute Fotos. In fast jeder Ausgabe gelingt eine
Hinguckerseite.
Die Stärke der motz,
der dritten im Bunde, ist eine ansprechende Optik nicht, vielmehr
versprüht sie einen eher Spröden Charme. Auch die Texte sind zwar
faktenreich, aber meist recht trocken. Das gilt vor allem für die „Profi"-Ausgabe.,
die im Wechsel mit der Obdachlosenausgabe erscheint, in der
ausschließlich Verkäufer zu Wort kommen. Während Stütze und
Straßenfeger mit ehrenamtlicher Arbeit und über geförderte Stellen
entstehen, bezahlt der motz & Co e.V. einen festen Redakteur. Das
Geld dafür stammt aus dem vereinseigenen Unternehmen mit Umzugsfirma,
Trödel und Antiquariat, in dem etwa 20 Menschen arbeiten.
Gründungsmitglied und Chefredakteur Christian Linde versteht sich als
Chronisten in Sachen Armut und Obdachlosigkeit. Er kritisiert, dass sich
die Tageszeitungen des Themas nicht in gebührendem Maße annehmen. Auch
den anderen Straßenzeitungen wirft er das vor. „Die berichten über
alles, nur nicht über die Wohnungsnotfallproblematik." Das hält
er für verwerflich, weil sie alle doch ursprünglich mit genau diesem
Anspruch angetreten sind. Wer sich eine Obdachlosenzeitung kauft, der
will darin auch etwas zum Sujet finden, davon ist er überzeugt.
Der 39-Jährige sitzt in
einem Straßencafé am Marheinekeplatz in Kreuzberg, unweit der
motz-Redaktion, komplett in Schwarz gekleidet, Silberringe an den
Fingern. Er trinkt Mineralwasser und erzählt. Christian Linde ist
eloquent, man hört ihm gerne zu, das weiß er. Er sagt Dinge wie, „von
einem Grundmotiv auf eine allgemeine gesellschaftliche Ebene
abstrahierend" oder „phänomenologisch dafür ist ...". Dass
die erste Straßenzeitung zwei Jahre nach Gründung des
Obdachlosentheaters „Die Ratten" entstand, findet er
bemerkenswert, zeige es doch wieder einmal, dass „in der Kunst
erstmals auftritt, was später gesellschaftliche Relevanz erlangt."
Er hat Kommunikationswissenschaften und Publizistik studiert, deshalb interessiere er sich für so etwas, sagt er.
Konkurrenz der Blätter
nützt den Obdachlosen
Die Standardfragen nach Auflage und Verkauf findet er langweilig,
was bisher über die motz geschrieben wurde auch. Das hat er schon am
Telefon gesagt. Ob sich der gebürtige Kreuzberger wirklich überlegen
fühlt – wer weiß. Zumindest tut er so.
Die starke Konkurrenz, den
steten Kampf auf dem Asphalt um Kunden, versuchen alle Beteiligten
positiv zu sehen. Für die Qualität der Blätter sei sie nur gut, sagt
Kerstin Herbst. Auch für die Verkäufer ist sie von Vorteil. „Die
können sich aussuchen, was sie verkaufen wollen." Und sie
diktieren die Preise. Inzwischen gehen zwei Drittel des Erlöses an sie,
früher war es nur die Hälfte. Und dann sind da noch die sozialen
Projekte – Notunterkünfte, Tagescafés – die hinter jeder Zeitung
stehen, erinnert Uwe Spacek. Und je mehr es davon gibt, desto besser.
Robert Schwarz wohnt seit
drei Monaten in der Notunterkunft der „Stütze" und verkauft die
Zeitung – eigentlich in der Berliner S-Bahn. Doch dort treten sich
inzwischen Zeitungsverkäufer, Musiker und Schnorrer auf die Füße,
deshalb will er sein Glück in Zukunft auch öfter in Potsdam versuchen.
Vor dem Stern-Center, hat er gehört, soll es besonders gut laufen.
Melanie Katzenberger
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