Trotz positiver Prognosen verweigert Berlins Sozialsenatorin Schöttler (SPD) Reintegrationsmaßnahmen für Wohnungslose in den Arbeitsmarkt.
Während Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) „Arbeitsunwilligen" den Kampf angesagt hat, verweigert seine Parteifreundin, Berlins Sozialsenatorin Gabriele Schöttler, mögliche Hilfemaßnahmen zur Reintegration Sozialhilfebeziehender in den Arbeitsmarkt. Dabei hat eine im Auftrag der Senatsverwaltung für Soziales erstellte „Planungsstudie zur Vorbereitung und Einschätzung von beruflichen (Re-)Integrationsmaßnahmen" Erstaunliches ergeben. Danach sind die häufig als „Arbeitsscheu" und „Säufer" stigmatisierten Wohnungs- und Obdachlosen in einem hohen Maße „arbeitsfähig" bzw. „arbeitswillig".
In der von der Gesellschaft für interdisziplinäre Sozialforschung in Anwendung mbH (Intersofia) erstellten Studie wurden insgesamt 760 Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen zu den Voraussetzungen einer möglichen beruflichen (Re-)Integrationsmaßnahmen befragt. Danach wünschen sich 67 Prozent der Befragten eine feste Arbeitsstelle, wollen sich beruflich orientieren oder streben eine Qualifizierung an. Von den Befragten sind derzeit 93 Prozent ohne Erwerbstätigkeit. Doch anstatt mit einem Maßnahmenkatalog den rund 7.000 offiziell registrierten Wohnungslosen aus der Abhängigkeit des Sozialamtes zu helfen, lehnt die Senatorin die Umsetzung der Studienergebnisse ab. „Ziel der Wohnungslosenpolitik ist die Beseitigung der Wohnungslosigkeit durch Maßnahmen der Wohnraumbeschaffung oder vorübergehenden Unterbringung. Damit ist gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung zur Reintegration in den Arbeitsmarkt gegeben", heißt es in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Nach den Ermittlungen der Untersuchung bedeutet dies eine Zementierung der derzeitigen Situation. Denn zentrales Ergebnis der Studie ist, daß der Arbeitsplatzverlust wesentlicher Auslöser für die Wohnungslosigkeit ist und mit zunehmender Dauer der Erwerbslosigkeit eine ungünstigere gesundheitliche und psychosoziale Verfassung einhergeht. „Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote haben daher für beide Personengruppen eine präventive Funktion. Für die Gruppe von Wohnungslosigkeit Bedrohter zur Verhinderung des Wohnungsverlustes und für die Gruppe der Wohnungslosen zur Vermeidung weiterer Deprivation während der Wohnungslosigkeit", so die Wissenschaftler.
Zusammenfassend wird in dem Papier festgestellt, daß die Unterbringungsart entscheidend für die Chancen der Reintegration in den Arbeitsprozeß ist. Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen ist. Denn nach eigenen Angaben der Senatssozialverwaltung liegt die Verweildauer der in Wohnungsloseneinrichtungen lebenden oft bei bis zu drei Jahren. Und dies hat fatale Folgen. „Das Absinken während der Wohnungslosigkeit ist katastrophal. Zur Untätigkeit verurteilt verschlechtert sich der Zustand der Menschen dramatisch. Notwendig ist eine Vernetzung von Arbeitsmarktintegration und Wohnungsmarktintegration", fordert Rainer Krebs vom Diakonischen Werk. Und die Chancen hierfür wären günstig. Denn die qualifikatorischen Voraussetzungen der Befragten entsprechen in etwa dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Bei zwei Dritteln des betroffenen Personenkreises attestiert das Institut eine positive Prognose. Die bereits bestehenden Hilfemaßnahmen wie etwa das Programm „Hilfe zur Arbeit" (HzA) halten die Experten allerdings für nicht ausreichend, weil die Arbeitsvermittler nicht auf die spezifischen Lebenslagen wohnungsloser Menschen eingestellt sind und das jeweilige Angebot deshalb häufig am Bedarf vorbeigeht. Erforderlich sei ein mehrschwelliges Angebot, das sich an den Voraussetzungen der Betroffenen orientiere. Bei Drogenproblemen müsse im Vordergrund die Abhängigkeitsbewältigung stehen, an die sich das Angebot von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten anschließen müsse. „Arbeitsprojekte für Wohnungslose, die eine schulische oder berufliche Qualifizierung mit Abschluß ermöglichen, sind dem Senat nicht bekannt", heißt es hierzu lapidar von Sozialstaatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer. „Notwendig sind auch alternative Entlohnungsmodelle. Der Sozialhilfeempfängerstatus, der den meisten Teilnehmern kaum einen Zuverdienst ermöglicht, muß durch eine attraktivere Bezahlung ersetzt werden", so Liane Schenk, Verfasserin der Studie.
Doch während der Senat der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oberste Priorität einräumt, ist Sozialsenatorin Schöttler nicht einmal an einer Publikation der Studie interessiert. „Sie kann vom Auftragnehmer veröffentlicht werden", so
Junge-Reyer.
Christian Linde
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