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Wird Leipzig entmietet?

Wohnungsleerstand und Wohnungsnotfallstatistik

 

Trotz des hohen Leerstandes wird die Suche nach bezahlbarem Wohnraum in Leipzig immer schwieriger. Gleichzeitig steigt die Zahl der Zwangsräumungen.

Während in mehreren ostdeutschen Städten aufgrund des hohen Leerstandes der Abriss von Häusern begonnen hat, finden einkommensschwache Haushalte immer seltener bezahlbaren Wohnraum. Zu diesem Schluss kommt der Fachausschuss „Neue Bundesländer" in seiner im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) in Bielefeld erstellten Untersuchung „Entwicklung und Überwindung von Wohnungslosigkeit in den neuen Bundesländern".

So beläuft sich der Leerstand in der Stadt Leipzig inzwischen auf 60.000 Wohnungen. Gleichzeitig stieg die Zahl der von Wohnungsverlust bedrohten Haushalte von 3.746 im Jahre 1995 bis auf 6.268 im Jahre 1999 an. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Zwangsräumungen um 105 Prozent zu.

Ursache für die prekäre Situation ist nach Auffassung der Expertenkommission eine Kehrtwende in der Wohnungs- und Sozialpolitik. Zwar enge die hohe Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Sozialhilfeempfänger bei gleichzeitig steigenden Sozialausgaben die Handlungsspielräume immer weiter ein. Doch liefen die Strategien zur Entschärfung der Lage in eine völlig falsche Richtung. Statt die Prävention in den Vordergrund zu rücken, beschränke sich die Politik zunehmend auf ihre „Pflichtaufgaben". Die Folge ist der schrittweise Abbau der Hilfen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten und Maßnahmen zur Reintegration. So kritisiert der Geschäftsführer der BAG-W, Heinrich Holtmannspötter, dass viele der Betroffenen wie bei einer „Katastrophenhilfe" alles nehmen müssten, was ihnen geboten werde. Um mehr Menschen wieder dauerhaft zu eigenem Wohnraum verhelfen zu können, müssten jedoch mehr qualifizierte Sozialarbeiter zur individuellen Betreuung zur Verfügung stehen. In seiner Untersuchung kommt das Expertenteam dann auch zu dem Schluss, „dass das Problem nicht im fehlenden Wohnraum begründet ist, sondern in der Tatsache, dass der vorhandene Wohnraum den Bedarfen und Möglichkeiten bestimmter Problemgruppen nicht entspricht."

Eine zusätzliche Ausgrenzung erfahren Wohnungssuchende durch die rigide Praxis der Vermieter. Im Kampf um jeden potentiellen Mieter sei die Tendenz erkennbar, „störungsfreie Hausgemeinschaften zu etablieren", heißt es in dem Bericht. Schließlich können die Eigentümer bei Leerstand auf die Unterstützung des Bundes bauen. So lautete eine der Empfehlungen, die eine noch von dem ehemaligen Bundesbauminister Reinhard Klimmt (SPD) eingesetzte Expertenkommission zum Thema „Wohnungswirtschaftlicher Wandel in den neuen Bundesländern" abgegeben hat, den Abriss leerstehender Wohnungen mit bis zu 70 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche aus staatlichen Mitteln zu fördern. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der die Position der Bundesregierung zu Abriss und Rückbau in den ostdeutschen Städten unterstützt, weist die Kritik der Wohnungslosenhilfe zurück. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Obdachlosen kontinuierlich zurückgegangen. Dies bestätigen zwar die jährlichen Schätzungen der BAG-W, die die Zahl der Wohnungslosen in Ostdeutschland mit etwa 50.000 (1999) gegenüber 63.000 (1998) angibt. Nicht berücksichtigt werde allerdings die hohe Dunkelziffer von Langzeitwohnungslosen, die in unsicheren Mietverhältnissen oder ohne jede Unterkunft auf der Straße leben und in keiner Statistik erfasst seien. Da es keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung gebe, handele es sich bei dem zusammengetragenen Datenmaterial lediglich um nicht gesicherte Zahlen. Vielmehr sei von einem steigenden Risiko weiterer sozialer Ausgrenzung auszugehen.

„Für die Bürger der DDR war Arbeitslosigkeit kein Erfahrungswert. Der Umgang mit dem biographischen Einschnitt stellt sich somit noch immer als kompliziert und folgenreich dar. Arbeitslosigkeit bedeutet für die Betroffenen einen Verlust an finanziellen Mitteln, geringere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und den Verlust der wirtschaftlichen und sozialen Autonomie bis hin zu gesundheitlichen Risiken", heißt es in einem Positionspapier der BAG. Es sei davon auszugehen, dass sich die Situation für zahlreiche Haushalte weiter verschärfen werde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft fordert deshalb neben einer verstärkten Prävention, die Chancen des ostdeutschen Wohnungsmarktes zu nutzen und den Zugang zu Wohnraum mit angemessenen Bertreuungsstrukturen zu kombinieren. Erforderlich seien zielgruppenspezifische Hilfeformen, vor allem für psychisch Kranke, junge Erwachsene und Drogenabhängige. Ansonsten drohe die Wohnungslosenhilfe zum „Auffangbecken" für Personengruppen zu werden, denen nicht geholfen werden kann, so die BAG-W. Darüber hinaus müsse die rot-grüne Koalition „umgehend eine Gesetzesinitiative zur Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik vorlegen".

Eine bereits 1998 vom Statistischen Bundesamt erstellte „Machbarkeitsstudie zur statistischen Erfassung von Wohnungslosigkeit" bejaht die Durchführbarkeit einer bundesweiten Zählung. „Die Politik muss endlich ihre Verantwortung für ein jährliches, umfassendes Bild der Wohnungslosigkeit wahrnehmen, so wie es in anderen Bereichen längst selbstverständlich ist", verlangt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Christian Linde

 

Veröffentlicht im Heft 1/2003 - Januar/Februar/März - der Zeitschrift Mieterschutz
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