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Wohnungsmarkt im Musterländle dicht

Die Wohnungs(bau)politik in Baden-Württemberg führt zu einer "neuen" Wohnungsnot

 

Im Bundestagswahlkampf von den Mitgliedern des „Stoiber-Kompetenz-Teams" unermüdlich als Vorbild für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand für die Restrepublik gepriesen, steht nun auch das Musterländle Baden-Württemberg vor einem lange als überwunden geglaubten Problem: Wohnungsnot. Immer mehr Menschen suchen in dem unionsregierten Land eine Wohnung – jedoch ohne Erfolg.

Bereits im Herbst 2001 kam es aufgrund von Unterkunftsproblemen deshalb zu Protesten von Studierenden. „Die Vermittlung in Wohnraum gelingt immer seltener. Sozialberatungsstellen registrieren eine Zunahme von Wohnungssuchenden, die ihre Probleme nicht mehr selbst lösen können. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind wieder verstopft", beklagt Frieder Claus von der Wohnungslosenhilfeorganisation Heimstatt Esslingen e.V. Laut Erhebung der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg ist die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, allein zwischen dem Jahr 2000 und 2001 um 10,6 Prozent gestiegen.

Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt
Im Rahmen einer Stichprobe vom Dezember 2001 hat die Wohnungslosenhilfeeinrichtung Alarmierendes ermittelt. In lediglich zwei von zehn Landkreisen ist die Absicherung der Wohnkosten durch die lokalen Sozialhilfesätze gedeckt. Verantwortlich hierfür sind die marktfremden „Mietobergrenzen" der Sozialhilfeträger. Grundlage der Untersuchung war die jeweilige örtliche Vergleichsmiete. Die Deckungslücke beträgt bis zu 35 Prozent. Selbst durch die 25-prozentige Erhöhung des Wohngeldes – nach zehnjähriger Stagnation. Die Folge: Sozialhilfeempfänger geraten auf Dauer in Mietrückstände und damit in die Gefahr des Wohnungsverlustes. So feiert der Landkreis Calw, durch die Reduzierung der Ausgaben um 21 Prozent in der Top Ten bei den Sozialhilfeausgaben landesweit Platz drei zu belegen, während den Betroffenen die Miethöhe über den Kopf wächst. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch im Rhein-Neckar-Kreis (23 Prozent), Ludwigsburg (21 Prozent), Esslingen (17 Prozent) und der Landeshauptstadt Stuttgart (8 Prozent). Vergleichbar stellt sich die Situation bei den Heizkosten am Beispiel der Stadt Karlsruhe dar. Die größte Differenz bietet sich bei den Mietnebenkosten ohne Heizung in der Stadt Esslingen. Dort ermittelten die hiesigen Wohnungsunternehmen eine Unterdeckung bei Ein- bis Vier-Personenhaushalten gegenüber dem tatsächlichen Bedarf in einer Spannbreite von 56 Euro bis 122 Euro.

Da an der „Zweiten Miete", wie Grundsteuer, Müllentsorgung, Versicherung und Personenaufzug als Mietbestandteile nicht „eingespart" werden kann, führen entsprechende Rückstände ebenfalls zur Kündigung. Die Bilanz der Heimstatt Esslingen fällt düster aus. „Weder lässt sich feststellen, dass in Baden-Württemberg zur erneuten Anspannung auf dem Wohnungsmarkt gegengesteuert wird, noch erfolgt eine Unterkunftssicherung Einkommensschwacher. Insoweit wird es in der Wohnraumversorgung zumindest dieser Bevölkerungsgruppe sehr rasch zu einer neuen Wohnungsnot kommen. Auch durch nicht rechtsgemäße Sozialhilfeleistungen", befürchtet Frieder Claus.

Die Ursachen für die Misere sind vielschichtig. So verzeichnet das Land einen dramatischen Rückgang der Bautätigkeit. Entsprechend deckt die Zahl neu erstellter Wohnungen im Jahr 2002 nach Angaben der Landesbausparkasse nur noch 70 Prozent des zusätzlichen Bedarfs. Für das kommende Jahr prognostiziert das Institut einen weiteren Rückgang. Gleichzeitig steigen die Mieten im Wohnungsbestand kontinuierlich an. Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes sind die Mietkosten in den zurückliegenden 5 Jahren im Verhältnis zur Inflationsrate um 10 Prozent gestiegen. Zugleich sind die Nettoeinkommen real zurückgegangen. Zahlten die Mieter in den sog. alten Bundesländern 1994 durchschnittlich noch 23,7 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Bruttokaltmiete, waren es 1999 bereits 26,4 Prozent. Bei bestimmten Haushaltsformen, insbesondere bei Alleinstehenden, liegen die Kosten sogar deutlich über 35 Prozent.

Prekär wird die Lage für Sozialhilfeempfänger. Eine Stichprobenuntersuchung in Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs ergab eine Unterfinanzierung der örtlichen Mietpreise von bis zu 30 Prozent. Sozialhilfeempfänger sind somit zunehmend von Ausgrenzung und Wohnungsverlust bedroht, weil marktübliche Mieten durch die Sozialhilfe nicht mehr gesichert sind.

Sozialer Wohnungsbau liquidiert
Nach Einschätzung von Experten war diese Entwicklung seit langer Zeit absehbar. Denn durch die Mittelkürzungen findet Wohnungsbau im öffentlichen Sektor praktisch nicht mehr statt. Die Bundes- und Landesprogramme haben mit einer Absenkung von bis zu 85 Prozent des Gesamtvolumens einen historischen Tiefstand erreicht. Für Baden-Württemberg bedeutet dies in Zahlen ausgedrückt, dass die Mittel für den staatlich geförderten Wohnungsbau von rund einer halben Milliarde Euro im Jahr 1993 auf nur noch 51,5 Millionen Euro im laufenden Haushaltsjahr reduziert worden sind. Zum Vergleich: Während das Haushaltsbudget im Jahr 2000 nur noch 38 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau vorsah, waren es selbst im Nachbarland Bayern immerhin noch 310 Millionen Euro. Umgerechnet auf den Pro-Kopf-Aufwand sind dies für Bayern 23 Euro und für Baden-Württemberg gerade einmal noch 2,75 Euro. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Zuwendungen innerhalb der Eigentums- und Mietförderung. Von dem ohnehin geringen Fördervolumen in Baden-Württemberg entfallen gerade noch 7 Prozent auf den sozialen Mietwohnungsbau. 93 Prozent der Mittel fließen in den Bau von Eigenheimen. Auch hier schneidet Baden-Württemberg gegenüber Bayern schlecht ab. Dort werden knapp die Hälfte aller Fördermittel – bei weitaus höherem Gesamtbudget – für den Mietwohnungsbau verwendet.

Die Folgen sind fatal: In den kommenden Jahren verliert Baden-Württemberg dadurch rund 50 Prozent aller Sozialwohnungen. Dies bedeutet einen Wegfall wertvoller Marktsegmente zur Versorgung einkommensschwacher Haushalte. Frieder Claus fordert deshalb eine Umkehr von der bisherigen Politik. „Die Wohnbauförderung braucht einen raschen Kurswechsel. Wir brauchen eine verlässliche und nachhaltige soziale Wohnungsbauförderung mit ausreichenden Finanzmitteln und ein Mindestkontingent langfristig gebundener Sozialwohnungen, um schädliche Segregationsprozesse zu verhindern." Auch finanziell würde sich eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus für die leeren öffentlichen Kassen auszahlen. Denn nach Berechnungen des Deutschen Städtetages ist Obdachlosigkeit „siebenmal teurer als die vorbeugende Hilfe zu deren Verhinderung".

Christian Linde

 
Veröffentlicht im Heft 1/2003 - Januar/Februar/März - der Zeitschrift Mieterschutz
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