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Das Ende vom Mythos Wohnungslosigkeit

Zur „statistischen Erfassung von Wohnungslosigkeit"

Mit der „Studie zur statistischen Erfassung von Wohnungslosigkeit" kann die Qualität der Wohnungs(losen)politik zukünftig an ihrer Machbarkeit gemessen werden. Wie hoch ist der Anteil der Wohnungslosen? Wieviel Menschen müssen auf der Straße leben? Welchen Bedarf an Notunterkünften und betreuten Einrichtungen gibt es?

Wenn es in öffentlichen Diskussionen um die Themen Wohnungsnot und Obdachlosigkeit geht, schlagen sich die Vertreter staatlicher Institutionen und von Betroffenenverbänden regelmäßig ihre weit voneinander abweichenden Zahlen regelrecht um die Ohren. Die Leittragenden der stets fruchtlosen Debatten sind die Betroffenen selbst. Denn die derzeit einzige Informationsquelle über den Umfang der Wohnungslosigkeit ist die alljährliche Schätzung durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) in Bielefeld. „Diese Schätzung ist zwangsläufig grob und ungenau und damit angreifbar", beklagt Thomas Specht-Kittler, stellvertretender Geschäftsführer der BAG. Deshalb fordert die Organisation seit mehr als zwei Jahrzehnten vom Gesetzgeber eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik, damit die notwendige Planungssicherheit für eine effektive Wohnungslosenpolitik gewährleistet ist – bisher ohne Erfolg. Die Folge: Hunderttausende der bundesweit mehr als eine Million Menschen die wohnungslos sind, von Wohnungsverlust bedroht sind oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben, gehen nicht in die Wohnungsbedarfsprognosen der öffentlichen Hände ein und sind damit für die öffentliche Wohnungspolitik faktisch nicht existent. Die Sicherung der Wohnungsversorgung für Wohnungsnotfälle ist nach Auffassung der BAG jedoch ohne repräsentative Stichproben und verläßliche demographische Grunddaten nicht zu realisieren. Darüber hinaus erfordert die zunehmende Differenzierung der Hilfesysteme in der sozialen Arbeit, der Wohnungslosenhilfe, die lebenslageorientierte und gemeindenahe Versorgung mit sozialen Diensten und das frühzeitige Erkennen von sozialen Brennpunkten eine solide und regelmäßige Datengrundlage.

Dokumentationssystem für alle Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt
Mit der „Machbarkeitsstudie zur statistischen Erfassung von Wohnungslosigkeit", liegt nun erstmals eine umfassende Analyse zu den methodischen Möglichkeiten der amtlichen Statistik vor, die Zahl und die Struktur der von Wohnungsnot bzw. Wohnungslosigkeit betroffenen Haushalte regelmäßig zu erheben.

Das Papier, daß bereits 1995 von der damaligen Bundesregierung zugesagt worden ist und auf Druck der Wohlfahrtsverbände vom Statistischen Bundesamt nun endlich erstellt worden ist, bietet damit für die Wohnungslosenpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden erstmals eine solide Planungsgrundlage. Experten charakterisieren die Studie als „Meilenstein" auf den Weg zur Erstellung einer Wohnungsnotfallstatistik. Denn im Kern widerlegt die Studie die von den Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten vehement vertretene Auffassung, wonach eine umfassende, quantitative Erhebung der in der Bundesrepublik von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen nicht möglich sei. Danach empfiehlt das Wiesbadener Amt eine laufende, statt der bisher praktizierten Stichtagserhebung. Damit würde es erstmals möglich sein, die Verweildauer der Wohnungsnotfälle in sozialen Problemlagen zu quantifizieren. Das Dokumentationssystem einer zukünftigen Wohnungsnotfallstatistik müsse neben der Zählung der Gesamtzahl der Wohnungsnotfälle, eine Totalerfassung der gesamten Wohnungsnot auf gesetzlicher Basis sowie die globalen Bedarfs- und Planungsziffern für die Wohnungspolitik beinhalten. Mit den institutionell untergebrachten Wohnungslosen, den unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen und den in unzumutbaren Wohnverhältnissen Lebenden sowie den Asylbewerbern wären damit alle relevanten Gruppen erfaßt, die auf dem Wohnungsmarkt als Nachfrager agieren.

Wohnungslosenhilfe fordert Wohnungsnotfallstatistik
„Um die Ergebnisse unmittelbar in die Praxis umsetzen zu können, ist ein Informationssystem für die Politik erforderlich", so Christian König, Verfasser der Studie.

Ob die Erkenntnisse der Untersuchung in konkrete Politik umgesetzt werden ist allerdings mehr als fraglich. Zwar begrüßt die Bundesregierung in einer parlamentarischen Anfrage zur Situation Obdachloser in der Bundesrepublik vom vergangenen Sommer die Untersuchung. Doch schlossen Vertreter des Bundesbauministeriums bei einer Expertenanhörung inzwischen mit Verweis auf den von Finanzminister Hans Eichel (SPD) eingeschlagenen Sparkurs die Finanzierung einer Wohnungsnotfallstatistik aus. Vorgebaut hatten zuvor offenbar bereits die Sozial- und Wohnungsbauexperten von SPD und Grünen. Obwohl die Arbeit an der Studie bekannt war, steht zur Wohnungslosenpolitik im Koalitionspapier kein einziges Wort. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat die Bundesregierung deshalb aufgefordert, noch in dieser Legislaturperiode zumindest einen Gesetzesentwurf zur Wohnungslosenstatistik vorzulegen. „Der Prozeß der demokratischen Willensbildung über die angemessenen Wege zur Überwindung der Wohnungsnot ist durch die fehlende Wohnungsnotfallstatistik stark blockiert. Spekulationen statt nüchterner Bestandsaufnahme sind Tür und Tor geöffnet. Dies zeigt sich besonders in der Presseberichterstattung über das Problem, die sich immer wieder in der sentimentalen Beschreibung von Einzelschicksalen und der Mythologisierung der Wohnungslosen auf der Straße verliert", kritisiert Thomas Specht-Kittler.

Christian Linde

Veröffentlicht in: Mieterschutz, Heft 6/1999, November/Dezember 1999 
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