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Sozialamt schickt Obdachlose betteln

Der Arbeitskreis Wohnungsnot wirft Bezirksamt Spandau Amtspflichtverletzung vor

Klaus R. traute seinen Ohren nicht, als ihm seine zuständige Sachbearbeiterin beim Sozialamt statt Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren zum Betteln auf die Straße schickte. „Bis zur Klärung ihrer Ansprüche können sie ihr Einkommen auch weiterhin durch Bettelei erwirtschaften, schließlich haben sie dies bis zum Zeitpunkt ihres Hilfeersuchens auch schon getan", erinnert sich der 54-Jährige an die Worte der Mitarbeiterin.

Klaus R. ist kein Einzelfall. Seit Monaten beklagen Mitarbeiter von Wohnungsloseneinrichtungen, dass Menschen ohne festen Wohnsitz vom Sozialamt Spandau die Sozialhilfe systematisch verweigert wird. Das Amt versagt Wohnungslosen Leistungen und bezieht sie nicht in die angestrebte Hilfeplanung mit ein. Bei Kritik werden sie aufgefordert, dagegen zu klagen. Aber gerade Menschen, die sich in schwierigen Lebensverhältnissen befinden, sind häufig gar nicht in der Lage, ein Widerspruchsverfahren durchzustehen. „Offenbar sind sich die Mitarbeiter dieses Bezirksamtes dessen bewusst und fahren so einen Sparkurs auf Kosten der Betroffenen", kritisiert der Arbeitskreis Wohnungsnot, ein Zusammenschluss von rund 70 Einrichtungen öffentlicher und freier Träger der Wohnungslosenhilfe in Berlin. Diese Praxis entspricht nach Ansicht der Organisation nicht den gesetzlichen Bestimmungen und bedeutet eine „Amtspflichtverletzung". Denn nach geltendem Recht erfüllt dies den Tatbestand mangelnder Sicherstellung der Soforthilfe. Formal begründen die Sozialamtsmitarbeiter ihr Verhalten damit, dass Hilfebedürftige nicht bereits beim ersten Besuch im Amt sämtliche Nachweise über den Nichtbezug weiterer Sozialleistungen nachweisen können.

Doch auch die Rechtslage ist eindeutig. So schreibt das Bundessozialhilfegesetz vor, dass einem Antragsteller nicht allein der Nachweis seiner Leistungsberechtigung aufgebürdet werden darf. Erst recht gilt dies bei wohnungslosen Menschen. Aufgrund ihrer Lebensumstände ohnehin beeinträchtigt, sind Menschen ohne Dach über den Kopf selten in der Lage, ihre Rechte überhaupt geltend machen zu können. Zwar besteht nach Aussage von Rechtsexperten in den meisten Fällen bei einer Klage Aussicht auf Erfolg, doch scheuen viele diesen Schritt. „Betroffene haben Angst gegen eine Behörde vor Gericht zu ziehen, auf deren Hilfe sie möglicherweise noch auf Jahre hinaus angewiesen sind", weiß Karsten Krull vom Arbeitskreis Wohnungsnot.

Durch die restriktive Praxis sind inzwischen auch die Projekte selbst in ihrer Arbeit beeinträchtigt. Denn zur Wahrung der Rechte ihrer Klienten sind die Sozialarbeiter immer häufiger gezwungen, Betroffene zum Bezirksamt zu begleiten. Dies bedeutet, dass sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit in den Wartezimmern der Behörde verbringen.

Die Verwaltung weist die Vorwürfe zurück. Den Mitarbeitern der Einrichtungsträger wirft das Bezirksamt „mangelnde rechtliche Kenntnisse" vor. So seien Kostenübernahmeanträge häufig sachlich unbegründet. Vielmehr stünde die Auslastung der eigenen Einrichtungen im Mittelpunkt des Interesses. „Allzu häufig ist offenkundig, dass Hilfebedarfe formuliert werden, um eine Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes zu betreiben", behauptet Sozialstadtrat Jürgen Vogt (CDU).

Dem widerspricht der Arbeitskreis vehement. So bewegt sich die durchschnittliche Belegungszahl bei über 80 Prozent. „In einigen Einrichtungen bestehen sogar Wartezeiten von bis zu zwei Monaten", sagt Karsten Krull. Ungeachtet dessen droht Sozialstadtrat Vogt in einem Schreiben den Wohnungslosenunterkünften bei anhaltender Kritik zukünftig sogar bereits die Entgegennahme von Kostenübernahmeanträgen grundsätzlich zu verweigern. Als Akt „vertreibender Hilfe" bezeichnet Peter Zedler von der Arbeitsgemeinschaft Leben mit Obdachlosen das Vorgehen. „Hier setzt ein Sozialamt die Daumenschrauben an, und es ist zu befürchten, dass im Zuge der Kürzungspolitik andere bald nachziehen werden", so Zedler.

Christian Linde

Veröffentlicht in: Neues Deutschland, 31. Januar 2001 
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