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Ostdeutsche nicht im Konsumrausch

Kredite sollen Lebensunterhalt sichern


„Die ostdeutsche Bevölkerung weist keine Anzeichen von „Konsumrausch" auf. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts für Grundlagen- und Programmforschung in München zu Marktverhalten und Verschuldung privater Haushalte in den neuen Bundesländern.

Lediglich 29 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung zu den „markentreuen" Verbrauchern, heißt es in der vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene Studie, bei der 301 Familienhaushalte, zudem Schuldnerberatungsstellen, Energieversorgungsunternehmen und Wohnungsbaugesellschaften befragt sowie Daten der Bundes-Schufa über Kreditvergabe herangezogen wurden.

Die Mehrzahl der Menschen lässt sich bei den Ausgaben im konsumtiven Bereich von den persönlichen Einkommensverhältnissen leiten. Insgesamt sind 37,5 Prozent aller ostdeutschen Haushalte mit 18,5 Milliarden DM in bankmäßigen Krediten verschuldet. Die durchschnittliche Gesamtverschuldungssumme liegt nach Angaben der ostdeutschen Schuldnerberatungsstellen bei 19 000 DM pro überschuldeten Haushalt. Hauptbetroffene sind die Alleinerziehenden (26,5 Prozent) und Familien mit zwei Kindern (32,7 Prozent) bzw. Familien mit drei Kindern (38,3 Prozent). Von Mietschulden sind 398 000, mit Energieschulden bis zu 3 Prozent aller Haushalte belastet.

Als wesentlicher Auslöser für Überschuldung geben die Münchner Forscher - neben Problemen bei der Haushaltsführung, Überschätzung der eigenen Zahlungsfähigkeit und mangelnder Erfahrung im Umgang mit dem Waren- und Kreditangebot - Arbeitslosigkeit und niedrige Einkommen an. In den vergangenen acht Jahren haben sich die Kosten für Lebensmittel, Kaltmieten, Bekleidung, Kinderbetreuung und Versicherungsbeiträge im Osten durchschnittlich um über 40 Prozent erhöht. Gleichzeitig ist die Zahl der Erwerbstätigen von 9,7 Millionen auf heute 5,8 Millionen zurückgegangen. Das hat Folgen: Von bundesweit rund 2 Millionen überschuldeten Haushalten befindet sich ein Viertel in Ostdeutschland. Damit sind in den fünf neuen Ländern mit knapp 7,6 Prozent inzwischen mehr Menschen verschuldet als in den alten Bundesländern (5,3 Prozent). Jede fünfte Kreditaufnahme erfolgt im Osten zur Sicherung des Lebensunterhalts. sind derzeit knapp 500 000 in Ostdeutschland. Jeder dritte Klient von Schuldnerberatungsstellen wird der Gruppe der Armutsschuldner zugerechnet.

Der Anteil der Arbeitslosen an den überschuldeten Haushalten beträgt im Osten mittlerweile 40 Prozent. Kein Wunder: Sind die Kreditverpflichtungen anfangs überschaubar, ändert sich mit einem Arbeitsplatzverlust die ökonomische Situation schlagartig, so die Forscher. Der Weg von der Verschuldung, d.h. die Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, ist praktisch vorgezeichnet.

Um den Betroffenen Wege aus der Überschuldung ebnen zu können, ist nach Ansicht des Leiters der Forschungsgruppe, Dieter Korczak, ein Ausbau der Hilfemaßnahmen dringend erforderlich. Doch trotz der alarmierenden Zahlen steht das Beratungssystem auf wackligen Beinen. So ist der Einsatz von zeitlich begrenzten ABM-Mitteln an der Finanzierung der Schuldnerberatung ist im Osten mit 37 Prozent wesentlich höher als in den alten Bundesländern.


Christian Linde

Veröffentlicht  in: Neues Deutschland, 19. Mai 1998, S.10
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