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Letzte Ausfahrt Petitionsausschuss

Berlin: Bildungswesen und Sozialämter Spitzenreiter bei Petitionen

In Berlin sind Sozialämter und Innenverwaltung Spitzenreiter bei Bürgerbeschwerden. Und während der Nachwuchs zu den Hauptbetroffenen zählt, macht die junge Generation am wenigsten Gebrauch von ihrem Recht auf Beschwerde. Ob Schwierigkeiten mit dem Sozialamt, Angst vor der Abschiebung oder Ärger mit dem Nachbarn: Der Petitionsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses ist oft die letzte Adresse, an die sich verzweifelte Menschen wenden können.

2.367 Beschwerden gingen im Jahr 1998 bei der in der Öffentlichkeit eher wenig beachteten Institution ein. Doch nur selten konnten die 22 Ausschußmitglieder den Petenten eine gute Nachricht übermitteln. Lediglich 16 Prozent aller Petitionen wurden positiv beschieden. Zwar konnte in 26 Prozent der Fälle Hilfestellung geleistet werden, doch fast die Hälfte, nämlich 41 Prozent aller Hilfesuchenden, erhielten eine negative Nachricht von dem Ausschuß. Dabei reicht die Palette der Beschwerden über offensichtlich ungerechtfertigte Bußgeldbescheide bis hin zur möglichen rechtswidrigen Abschiebung.

Einsame Spitze bei Beschwerden sind die Berliner Sozialämter. Die Mißstände im Sozialamt des Bezirkes Spandau sind so eklatant, daß sich 226 Sozialhilfeempfänger in einer Petition sogar solidarisch mit dem von den Mitarbeitern aufgrund der mangelnden räumlichen Ausstattung und personellen Unterbesetzung praktizierten „Dienst nach Vorschrift" zeigten. Diese wollten mit ihrer Aktion Darauf aufmerksam machen, daß eine angemessene Beratung der Hilfesuchenden -wie im Bundessozialhilfegesetz verlangt- mit dem vorhandenen Personal nicht zu schaffen ist. Obwohl der Ausschuß nach einem Ortstermin die Bedingungen kritisierte, winkte der Bezirk aufgrund der prekären finanziellen Situation ab.

Die Schwierigkeiten in den Berliner Sozialämtern führt der Ausschuß in erster Linie auf die verschlechterten Lebensverhältnisse „als Folge der massenhaften Arbeitslosigkeit „ in den vergangenen Jahren zurück, so daß zahlreiche Menschen die staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen müssen, ohne daß die Verwaltung diesem Ansturm der Hilfebedürftigen personell auch nur annähernd gewachsen wäre. Insgesamt 231mal wurden Beschwerden über Sozialämter eingereicht, nur 81 eingaben konnten jedoch laut Ausschußbericht positiv beschieden werden. Anlaß für die Beschwerden waren vor allem Klagen über lange Bearbeitungszeiten, unfreundliche Behandlung durch Sachbearbeiter, unzumutbare Zustände in den Räumen der Behörde und vor allem harte und ungerechte Entscheidungen.

Den zweiten Schwerpunkt im Beschwerdekatalog bildet das Ausländerwesen. In der Eingabe eines Vereins, der Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien betreut, wurde über Mißstände in einem Wohnheim berichtet, das vom Bezirk Neukölln betrieben wird. In der Einrichtung leben alleinstehende Obdachlose, Familien und Menschen, denen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt werden. Im Zentrum der Kritik stand die unzureichende Lebensmittelversorgung der Bewohner. Ein Bezirksverteter wies in seiner Stellungnahme sämtliche Vorwürfe schlicht als unbegründet zurück. Erst nach einem Besuch des Petitionsausschusses vor Ort wurden die beanstandeten Mängel eingestanden. Der Protest der Flüchtlingsorganisation führte zu einer Änderung der Küchenzeiten zugunsten der Bewohner, doch das das Leistungsangebot besserte sich aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht.

Nennenswerte Erfolge, das räumt der Ausschuß in seinem Bericht durchaus ein, konnten für die Petenten nur selten erzielt werden. Als positives Beispiel hebt das Gremium z.B. hervor, daß einer Vietnamesin mit zwei kleinen Kindern Beihilfen für Windeln von zunächst monatlich 20 DM -nach Intervention des Ausschusses- auf 50 DM erhöht worden sind. Eine jugoslawische, hochschwangere Asylantragstellerin erhielt vom Sozialamt Neukölln entgegen der Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz keine finanzielle Unterstützung für Babyausstattung. Erst nach Eingreifen des Petitionsausschusses und einer Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes kam die Frau zu ihrem Recht.

Die Abschiebepraxis der Innenverwaltung war Anlaß zahlreicher Beschwerden. „Es gibt Fälle, für die die Abschiebung quasi das Todesurteil bedeutet. So gibt es zwei suizidgefährdete Jugendliche, deren Petitionsverfahren noch läuft. Diese Fälle werden in der Regel von der Innenverwaltung negativ entschieden „, beklagt Ida Schillen, Mitglied des Petitionsausschusses. „Wer sich die Mißerfolgsquote des Petitionsausschusses anschaut, muß den Eindruck bekommen, daß der Ausschuß der verlängerte Arm der Verwaltung ist „, kritisiert die bündnisgrüne Politikerin die Praxis der parlamentarischen Einrichtung.

Während der Ausschußvorsitzende Reinhard Roß (SPD) eine positive Bilanz der Arbeit des Ausschusses zog, verlangt Ida Schillen eine Reform des Gremiums. So sollten endlich auch politische Petitionen und Vorschläge für Gesetzesänderungen im Ausschuß Gehör finden. Asußerdem sollte die parlamentarische Institution, wie in Bayern üblich, im Interesse der Betroffenen zukünftig in der Regel öffentlich tagen. „Das Problem besteht darin, daß den Menschen, die Beschwerden einreichen, nicht ermöglicht wird, selbst dazu Stellung zu nehmen. Aus diesem Grund ist es für die Verwaltung und insbesondere die Ausländerbehörde so einfach, über die Köpfe und Schicksale der Menschen hinweg zu entscheiden", so Schillen.

Der Ausschuß muß als politischer Ausschuß gestärkt werden. Denn bei politischen Petitionen erklärt sich der Petitionsausschuß für nicht zuständig, Fachausschüsse aber, denen Petitionen überwiesen werden, reagieren zögerlich, nachlässig oder auch gar nicht. Petitionen sollten politisch beraten, entschieden und beantwortet werden müssen.

Der Petitionsausschuß hatte selber die Hoffnung, sein Image z.B. durch Kooperationen mit Schulen zu verbessern. Wenig ermutigend sind aber bisher Erfahrungen, die einzelne Ausschußmitglieder bei ihren Besuchen in Schulen machen mußten. Um Kindern und Jugendlichen das Petitionsrecht näher zu bringen und sie zu ermutigen, sich mit Petitionen für ihre Wünsche und Bedürfnisse Gehör zu verschaffen, hatte der Ausschuß zuvor Informationsmaterial verschickt. Die Schülerinnen und Schüler übten zwar heftige Kritik an Sparmaßnahmen des Landes Berlin, an Kürzungen bei Lehrmitteln und Lehrpersonal, doch zeigten sich die jungen Wahlberechtigten von morgen und übermorgen am Recht auf Beschwerde eher uninteressiert. Jugendliche und junge Erwachsene gehören denn auch zu jener Gruppe der Gesellschaft, die im vergangenen Jahr die wenigsten Petitionen an das Berliner Parlament eingereicht hat.

Für den untergeordneten Rang, den das Petitionsrecht und der Petitionsausschuß in der Öffentlichkeit einnehmen, macht Ida Schillen vor allem die Medien verantwortlich: „Wenn die Berliner Presse in ihrer Berichterstattung zum Jahresbericht des Petitionsausschusses die Rückkehr eines Molukken-Kakadus nach Berlin in den Mittelpunkt stellt, darf man sich nicht wundern, wenn die aufgabe und die Arbeit des Gremiums als etwas eher Lächerliches wahrgenommen wird."

Es gibt weitere Ursachen: Bei der Konstituierung der Parlamentsausschüsse bildet der Petitionsausschuß in der Gunst der Abgeordneten stets das Schlußlicht. Kein prominentes Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sitzt in diesem Kontrollgremium, heiß begehrt sind dagegen Innen-, Rechts- und Haushaltsausschuß. Im Petitionsausschuß saßen bisher jedenfalls nie ehemalige und amtierende Senatorinnen und Senatoren. Wer politische Karriere machen will, meint leider nach wie vor, im bürgernächsten Petitionsausschuß am falschen Ort zu sitzen.

Christian Linde

Letzte Ausfahrt Petitionsausschuß. In: Mit Petitionen Politik verändern. Reinhard Bockhofer (Hrg). Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden 1999, S. 249-251.
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